Sonntag, 12. April 2015

Ansichten zur Apple Watch

Seit Freitag Morgen 9:00 Uhr MESZ ist es so weit. Die Apple Watch kann offiziell vorbestellt werden. Mit Preisen von 399 Euro (Apple Watch Sport, 38mm-Gehäuse, zwei Armbänder) bis hoch zu 18.000 Euro (Apple Watch Edition) ist sie definitiv kein Geek-Spielzeug, sondern hegt den Anspruch einer ernstzunehmenden Uhr und versteht sich vor allem bei den höherpreisigen Modellen mehr als Schmuck denn als Uhr.
Über das Design lässt sich vortrefflich streiten. Ich mag rechteckige Uhren. Seit meiner ersten LCD-Uhr, Mitte der 80er Jahre, waren alle meine Uhren rechteckig. Seit meiner ersten Ausbildung, Anfang der 90er, trug ich sogar fast 20 Jahre gar keine Uhr. Anfangs weil sie für meine Arbeit störend war, später sorgte das Mobiltelefon zusätzlich dafür, dass ich keinen Bedarf mehr für eine Uhr hatte. 
Das änderte sich 2013, als die ersten ernstzunehmenden Smartwatches auf den Markt kamen. Meine Wahl fiel auf die Sony Smartwatch 2, die sodann als Weihnachtsgeschenk von Frauchen und dem Schwiegerdrachen unterm künstlichen Nadelbaum landete. Anfangs ungewohnt, vor allem durch das schwere und ungelenkige Metallarmband, machte es aber schnell wieder Spaß Uhr zu tragen. Das Metallarmband wurde flugs gegen ein praktisches Nylonarmband gewechselt und meine Welt war in Ordnung und 3-4 Tage Akkulaufzeit waren einfach super. Doch mich nervte eine Sache recht schnell. Sämtliche Funktionen mussten als zusätzliche Apps heruntergeladen und installiert werden. So war mein Telefon schnell überfüllt mit allerlei funktionslosen Apps, die lediglich Dienste für die Uhr bereitstellten. Für einen Puristen wie mich ein Affront und im Falle eines Handywechsels/Werksresets wäre es eine reine Katastrophe gewesen, die Uhr wieder in denselben Zustand zu versetzen. 

Im Sommer 2014 hatte Google die scheinbare Antwort auf meine Sorgen. Android Wear. Bessere Hardware, eine einheitliche Software-Plattform, die versprochene Unterstützung durch zahllose Apps und ein offenes Framework, das nur der Nutzung durch die Entwickler harrte. Ein Traum in androidem Grün.

Auf der IFA im Herbst hab ich mir dann die inzwischen schon recht zahlreichen Modelle von Motorola, LG und Sony angesehen, mich vom Potential von Android Wear überzeugt und mich, nach Abwägung allen Fürs und Widers, abermals für eine Sony entschieden. Die Smartwatch 3. Im Vergleich zur SW2 musste ich kaum Einbußen in der Akkulaufzeit hinnehmen, hatte aber ein deutlich leistungsfähigeres Gerät mit einem der seinerzeit höchstauflösenden Smartwatch-Displays. Der größte Vorteil war aber, dass ich gute 30% aller Apps von meinem Telefon wieder runterwerfen konnte. Was Android Wear kann, kommt über die Companion-App und native Unterstützung durch die jeweiligen Apps selbst.
Das Potential von Android Wear ist enorm und ich hoffte, dass die zahlreichen liebgewonnenen Funktionen meiner SW2 so nach und nach auf meiner SW3 verfügbar werden. Dazu gehört u.a. voller Zugriff auf meinen Kalender und meine Mails, Zugriff auf meine Benachrichtigungen, etc. pp.

Gucke ich nun mal so auf's Datum ist auch nach einem dreiviertel Jahr kaum einer meiner Wünsche tatsächlich in der Realität angekommen. Offensichtlich versteht Google unter eine Smartwatch lediglich ein Notification-Center am Handgelenk und nicht mal das beherrscht Android Wear wirklich gut. Positiv ist die nahtlose Google-Now-Integration und genau damit erschöpft sich aus meiner Sicht auch schon das ganze Konzept.
Hab ich eine Nachricht an der Uhr einmal gelesen, ist sie weg. Es gibt keine Liste der xxx zuletzt eingetroffenen Benachrichtigungen. Dasselbe gilt für meine Mails. Ich kann immer nur die zuletzt eingetrudelten Mails lesen. Hab ich eine Mail mal gelesen, finde ich sie nur noch am Telefon wieder. Für den Zugriff auf meinen Kalender müsste ich sogar eine zusätzliche App installieren, denn der "Google Calendar" hat auch Stand April 2015 immer noch keine Android Wear-Unterstützung. Google hat es also bis dato nicht einmal für die eigenen Apps und Dienste geschafft, eine halbwegs funktionale Android-Wear-Unterstützung abzuliefern. Und dort wo man Android Wear unterstützt, hat man leider auf halber Strecke aufgehört. So zum Beispiel Google Play Music. Ohne Frage kann man mit seiner Smartwatch prima die Musikwiedergabe steuern. Doch warum nur innerhalb einer Playlist? Ich hab eine Musikbibliothek von mehreren hundert Alben. Auch die Funktion, sich bis zu 2,5GByte Musik auf die Uhr zu laden ist zwar nett, aber nett ist nun mal nicht grundlos die kleine Schwester von scheiße. Die Datenübertragung erfolgt, obwohl die Sony SW3 auch WLAN hat, konsequent über Bluetooth. Der Upload vom Smartphone auf die Uhr dauert da schon mal ne geschlagene Stunde. Also vor dem Weg zur Arbeit “mal schnell" 2-3 neue Alben auf die Uhr ziehen funktioniert einfach nicht. Also lässt man die Musik doch lieber auf dem Smartphone und hört sie von dort. Das tut dem Akku der kleinen Uhr auch ganz gut. Nutzt man sie nämlich als MP3-Player, gehen nach 3-4h die Lichter aus.
Auch das sehr minimalistische, aber leider auch für Fehlbedienungen sehr anfällige User Interface hat Google bislang keiner grundlegenden Überarbeitung zugeführt. Einen gescheiten App Launcher sucht man vergeblich. Google hat die manuell startbaren Apps tief in einem Menü versteckt. Ein unnötiges Gewühle ist das und wahrlich unpraktisch. Einen vollwertigen App Launcher, wie ich ihn bspw. von der Sony SW2 kannte, kann man sich zwar als 3rd-Party-App nachinstallieren, der kostet aber Akkulaufzeit und die Stabilität der App lässt durchaus zu wünschen übrig.

Alles in allem muss ich Google leider attestieren, das Potential von Android Wear schlichtweg (noch) nicht genutzt zu haben und ich fürchte inzwischen, dass Android Wear eines dieser Projekte sein wird, die Google lautstark anfängt um sie später klammheimlich sterben zu lassen. Denn guckt man sich auf dem Smartwatch-Markt um, scheinen nur noch wenige Hersteller tatsächlich von dem Konzept überzeugt zu sein. Immer mehr neue Smartwatches kommen zwar auf den Markt, bieten aber fast alle ihre eigenen, proprietären Systeme. Auf Android Wear setzen nur wenige. Sogar LG, die seinerzeit zusammen mit Samsung und Motorola ganz groß die Werbetrommel für Android Wear gerührt haben, kommen nun mit einem eigenen System. Für mich ist so etwas immer ein schlechtes Omen. Die große Chance, mit Android Wear eine potente und umfassende Plattform für Wearables Realität werden zu lassen, hat Google aus jetziger Sicht ziemlich in den Sand gesetzt.


Und nun kommt auch noch Apple.
Oft hat man Apple vorgeworfen, den Zug verpasst zu haben. Sie seien mit ihrer eigenen Smartwatch, die ja schon seit bestimmt 3 Jahren herbeigemunkelt wird, einfach viel zu spät, um noch was vom Kuchen abzubekommen. Und jetzt, wo man endlich ein Produkt vorzuweisen hat, sind die Foren und Blogs voller Spott und Häme, weil Apple nicht nur das Akkuproblem nicht gelöst zu haben scheint, sondern auch noch saftige Preise verlangt.

Doch gucken wir uns die Apfel-Uhr doch mal zunächst in der Hardware an.
Das Einstiegsmodell, die Apple Watch Sport, kommt mit einem eloxierten Gehäuse aus einer Aluminiumlegierung, gehärtetem Display-Glas und zwei Silikonarmbändern daher. 399 Euro sind für das 38mm-Modell fällig und 449 Euro für das 42mm-Modell. Eine Akkuladung soll auf dem aktuellen Firmwarestand wohl knapp einen Tag reichen. Ein Wert, der wahrlich nicht zum Jubeln einläd. Der heilige Gral der Ingenieurskunst sieht in der Tat anders aus. Warum kostet der Kram also einfach mal 200 Euro mehr als die schon nicht ganz preiswerte Anroid-Wear-Konkurrenz?
Nun, die Erklärung dafür liegt im Detail. Zum einen ist die Apple Watch aus einem Stück gefräst - also Apples bewährtes Unibody-Design. Das kostet, inkl. der Oberflächenversiegelung, in der Herstellung schon mal etwas mehr als bspw. das gestanzte Blech meiner SW3 oder das Kunststoffgehäuse einer SW2. Über die elektronischen Interna kann man bei Apple nur munkeln. Das Innenleben ist nahezu vollständig verkapselt und hört auf den Namen “S1". Technisch soll dort ein Prozessor drin stecken, der dem A5 (iPhone 4/4s) wohl ebenbürtig sein soll. Im Vergleich zu Android Wear, wo ein etwas abgewandelter Qualcomm S400 drin steckt, reden wir also durchaus von gleichwertigen Prozessoren. Betrachtet man dabei, dass der Prozessor unter Android Wear mit Java und JSON gequält, der Prozessor der Apple Watch hingegen vom deutlich hardwarenäheren Swift umschmeichelt wird, sollte die Apple Watch in Sachen Leistung deutlich die Nase vorne haben. Gerade bei den Speicherzugriffen ist meine SW3 nun wahrlich keine Rakete. Das sollte bei Apple in der Theorie geschmeidiger laufen. Trotz des umfangreicheren UIs.
Beim Display sieht man dann, wo Apple die Kohlen hat liegen lassen. Die Apple Watch hat das mit großem Abstand brillanteste und schönste Display aller aktuellen Smartwatches. Abgerundete Kanten, wie beim Nexus 4 oder Samsung S6 Edge verleihen der Uhr eine Haptik zum Niederknien. Das Display selbst ist vollständig unter das Glas laminiert und die Berührungsoberfläche nicht einfach nur ein Touch-Grid, sondern “force sensitive”, kann also Berührungen unterschiedlicher Stärke auswerten. Ein weiteres Highlight ist die “Digital Crown” - ein digitales Pendant zur analogen Krone einer jeden mechanischen Armbanduhr. Damit soll ein zusätzliches Level an Interaktion möglich sein.

Ist die Apple Watch mit den Kenngrößen einen Kauf wert? Vergleiche ich die Features mit meinem Anforderungskatalog von vor 1,5 Jahren, muss die Antwort ganz klar “NEIN!” lauten. Mit 3  (oder mehr) Ausrufezeichen!
Meine Mindestanforderungen an eine Smartwatch sind und waren immer eine Laufzeit von deutlich mehr als 2 Tagen, austauschbare Standardarmbänder und das Laden des Akkus mit Standard-Ladekabeln. Apple reißt nicht weniger als jede einzelne dieser Latten und zwar schon im Absprung.

Wenn da nicht meine persönlichen Erfahrungen von 1,5 Jahren Smartwatch und gut 2,5 Jahre intensives Verfolgen der technischen Entwicklung auf dem Gebiet wären.
Ich habe schon einiges gesehen, viel ausprobiert, viel Geld für diesen Schnickschnack bezahlt und das meiner Ansicht nach aussichtsreichste Konzept (Android Wear) lässt mich derzeit ziemlich desillusioniert in der Gegend rumstehen.

Wenn mir meine Erfahrungen eines sagen, dann, dass die beste Hardware nichts nützt, wenn die Software Murks ist und als derzeitiges Zwischenfazit ist Android Wear leider Murks. Ein nicht zu ende gedachtes Experiment. Viel Potential - viel liegen gelassenes Portential.
Bei Apple hat man sich jedoch nicht nur über die Hardware, sondern auch über die Software ernste Gedanken gemacht. Freilich reden wir von einem Erstserien-Modell, wo sich nach einigen Monaten Praxis-Einsatz durchaus noch einige Optimierungsmöglichkeiten finden werden, doch das Konzept an sich ist in Hard- und Software schlüssig und durchdacht. Und nicht nur das. Apple hat frühzeitig die Entwickler mit ins Boot genommen und sie angehalten, die Apple Watch in ihre Apps zu integrieren und ist sogar selbst mit guten Beispiel vorangegangen. So sind Stand heute, also knapp 2 Wochen vor dem offiziellen Release schon weit über 100 Major-Apps bereit für die Apple Watch. Das ist mehr als Android Wear nach einem 3/4 Jahr Marktpräsenz zu bieten hat. Zudem hat Apple strenge Design-Richtlinien. Das ist für manche Zensur, für andere ein Garant für ein Mindestmaß an Qualität und UI-Treue. Ich tendiere inzwischen mehr zu letzteren. 
Wenn also Apple am 24.April seine Apple Watch an die ersten Käufer ausliefert, stehen die Nutzer vor einem weitgehend fertig entwickelten Ökosystem, das sie sofort umfangreich nutzen können.

Schaut man sich die schon zahlreichen Testberichte zur Apple Watch an, so hinterlässt sie jedoch auch ein sehr zwiespältiges Bild.
So können auf der Uhr laufende Apps keine Daten im Hintergrund nachladen, sondern nur dann, wenn die jeweilige App aktiv ist. Das resultiert dann in sichtbaren und oft nervigen Wartezeiten. Das wird dadurch noch verstärkt, dass bei der Apple Watch zur Kommunikation mit dem Smartphone ausschließlich Bluetooth verwendet wird, obwohl auch die Apple Watch über ein eingebautes WLAN-Modul verfügt. Viele Apps machen wohl auch den Eindruck, noch nicht wirklich fertig zu sein. Oft fehlt einfach nur ein für die Uhr angepasstes User Interface und so liefern die Apps manchmal viel zu viele Informationen. Das muss sich erst noch entwickeln.
Hinzu kommt, dass es auch Apple nicht gelungen zu sein scheint, Smartwatches zu einem Must-Have-Gadget zu machen. Viele Funktionen sind halt einfach nur pure Spielerei und bestenfalls ganz witzig. Den Durchbruch wird diese Generation der Apple Watch sicherlich noch nicht bringen und es ist fraglich, ob Smartwatches überhaupt ein Massenphänomen werden, wie es Smartphones inzwischen sind.

Ohne Frage wird die Apple Watch aus dem Stand heraus die meistverkaufte Smartwatch der Welt werden. Vermutlich ist sie das bereits sogar schon. Dafür sorgt Apple selbst mit einer gigantischen Werbekampagne, die in Umfang und Kosten bislang einmalig ist. Außerdem schafft es kein anderer Hersteller, eine derart treue (teilweise auch krankhaft fanatische) Fan-Gemeinde um sich und seine Produkte zu scharren, die einfach alles kaufen, solange nur ein angebissener Apfel drauf ist. Und, das muss man Apple auch einfach zugestehen, kein anderer Hersteller bietet ein derart unkompliziertes und dennoch leistungsfähiges Ökosystem aus Software, Hardware und Diensten.


Werde ich mir eine Apple Watch kaufen?

Erst mal nicht.
Zum einen hat Google unter der Hand bereits angekündigt, dass Android Wear auch für iOS kommen wird. Das würde mir vorerst genügen und ich könnte in aller Ruhe die Entwicklung verfolgen. Zum anderen bin ich von der Apple Watch einfach noch nicht restlos überzeugt. Der Akku ist für meinen Geschmack zu schwach und das System noch zu sehr auf Apples eigenes Ökosystem beschränkt. Ich nutze nun mal kein Facetime, sondern Hangouts, kein Apple Mail, sondern Inbox, etc. pp. und so lange die entsprechenden Apps noch nicht so weit sind, wäre es für mich eine ziemlich harte Einschränkung. Außerdem sind die Lieferzeiten für die Apple Watch derzeit jenseits von gut und böse. Mein Wunschmodell (Sport, Space Gray, 42mm) ist die meist bestellte Apple Watch und die Lieferzeit entsprechend spät. Apple gibt derzeit für dieses Modell eine zweimonatige Wartezeit an.


Man muss auch mal abwarten, welchen Produktzyklus Apple für die Apple Watch angedacht hat. Möglicherweise lohnt ja das Warten auf die zweite Generation.

Eine Bereicherung und ein grandioser Ideengeber für den noch jungen Smartwatch-Markt ist die Apple Watch aber jetzt schon und wenn Apple für das nächste Quartal die Verkaufszahlen veröffentlicht, wird sich zeigen, dass man in Cupertino wieder einmal sehr viel richtig gemacht hat.
Ob die Uhr den Startschuss für eine Smartwatch-Euphorie geben wird, bezweifle ich. Dazu sind die technischen Schwächen noch zu groß und dem Konzept Smartwatch fehlt immer noch die "Killer-Anwendung".

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